— Hast du den Verstand verloren? Meine Mutter ohne Dach über dem Kopf, und du erzählst hier Geschichten von deinem „ich will nicht“! — fuhr er auf, als hätte ich vorgeschlagen, sie in einem Zelt wohnen zu lassen.
Die Hochzeit verlief ganz gewöhnlich.

Keine Gänse, aber mit „Olivier“-Salat.
Der Bräutigam im blauen Anzug, die Braut im geliehenen Kleid, und die Schwiegermutter — in der Rolle einer tragischen Witwe, die allein ein Genie großgezogen hatte.
Anastasia lächelte damals leise in sich hinein, als Nina Petrowna zum dritten Mal an diesem Abend betonte, dass sie „diesen Jungen, die künftige Stütze der Familie“ geboren, ernährt und erzogen habe.
Mit „Familie“ meinte sie natürlich nicht die Schwiegertochter, sondern sich selbst.
Ihre Welt war klar geteilt in „wir beide, Lescha und ich“ und „der Rest“.
Alexej reagierte tatsächlich sofort auf jeden ihrer Rufe.
Er konnte den Zahnarzttermin absagen, ein Treffen mit einem Auftragnehmer verschieben oder sogar den Kinobesuch mit seiner Frau streichen — Hauptsache, die Mutter langweilte sich nicht.
Er trug nicht Nastja auf Händen, sondern seine Vergangenheit.
Und das tat er mit einem Stolz, der fast wie eine Auszeichnung wirkte.
— Sie hat mich ganz allein großgezogen! — sagte er mit Pathos. — Ganz allein! Ohne Mann! Mit drei Jobs und einem Magengeschwür!
Nastja nickte damals schweigend, nur aus Höflichkeit.
Ein Geschwür war schließlich nichts Banales.
Doch tief in ihrem Inneren, wo noch ein Rest naiver Glaube an die Ehe als Bund zweier Gleichwertiger lebte, spürte sie: so einfach war das nicht.
Das erste Jahr war noch auszuhalten.
Nur dass jeder Besuch von Nina Petrowna zum Theaterstück wurde, mit Kommentaren wie:
„Leschenka mochte schon immer knuspriges Hähnchen, nicht so wie manche“ oder „In seinem Alter hatte ich schon Berufserfahrung, und nicht… sowas hier“.
Nastja schluckte den Spott wie eine bittere Medizin: vielleicht half es ja.
Aber Geduld ist wie Rabattaktionen auf Waschmaschinen — nicht unbegrenzt.
Es begann mit Kleinigkeiten.
Alexej kaufte seiner Mutter erst ein Dampfbügeleisen, dann bezahlte er ihr einen Aufenthalt im Sanatorium, wo man „nicht richtig behandeln kann, aber wenigstens ordentlich füttert“, wie sie selbst meinte.
Dann kam die Möbel.
Später die Renovierung.
Und die Krönung — goldene Ohrringe mit Diamanten.
Nastja, längst ohne Hoffnung auf Vernunft, wagte es:
— Lescha, findest du nicht, dass das… etwas übertrieben ist?
Der Ehemann schaute sie an, als hätte sie vorgeschlagen, die Niere der Großmutter zu verkaufen.
— Du verstehst das nicht, — sagte er ernst. — Mutter hat alles für mich geopfert. Sie hat sich ihr Leben lang nichts gegönnt.
— Vielleicht hätte sie auch nicht sollen? — wollte Nastja schon sagen, aber sie schwieg.
Etwas in ihrem Inneren ächzte bereits wie eine verrostete Tür, hielt sich aber noch.
Dann kam jenes Abendessen.
Die Schwiegermutter erschien mit dem Gesicht einer Frau, die Opfer einer Weltverschwörung geworden war.
— Mich hat es wieder erwischt, — begann sie, als würde sie den Ausbruch eines Krieges verkünden.
— Der Aufzug funktioniert nicht, die Decke tropft, die Tapeten wölben sich.
Und die Nachbarn… haben Katzen angeschafft! Katzen, Nastja! Einen ganzen Unterschlupf! Ich kann dort nicht mehr leben!
Naive Nastja schlug vor, zu klagen.
Nina Petrowna sah sie an mit dem Blick einer vergessenen Schauspielerin.
Dann wandte sie sich an den Sohn:
— Lescha. Ich brauche eine neue Wohnung.
Neu.
Wohnung.
Wie eine Tasse mit Deckel: praktisch, bequem, hübsch.
Nastja hatte auf etwas wie „wir überlegen es“ oder „wir müssen darüber reden“ gehofft.
Doch Alexej nickte nur.
Einfach so.
Als hätte die Mutter um Salz gebeten und nicht um eine Zweizimmerwohnung im Zentrum.
Am Abend fasste sich Nastja ein Herz:
— Lescha, glaubst du wirklich, wir können uns leisten, deiner Mutter eine Wohnung zu kaufen?
— Wir nehmen einen Kredit, — meinte er achselzuckend, als ginge es um einen Coffee-to-go.
— Und wir? Unsere Wohnung? Unsere Kinder?
— Mama kann nicht warten, — wiederholte er wie ein Mantra.
In Nastja knackte etwas.
Wie Glas, das von einem Schlag zerbricht.
Von da an sah sie klar: in dieser Familie war sie keine Ehefrau, sondern Statistin.
Eine hübsche Kulisse für das Drama einer starken Frau und ihres Sohnes.
Dann wurde es schlimmer.
Alexej und seine Mutter klickten sich durch Immobilienseiten, diskutierten Quadratmeter, Lage, Aussicht und sogar Balkonform.
Nastja war überflüssig in dieser „Wohnungsfrage“, die plötzlich zum Lebensmittelpunkt geworden war.
Und eines Tages kam er mit leuchtenden Augen nach Hause:
— Gefunden! Perfekt! Neubau! Aussicht traumhaft! Nur sechs Millionen!
Nastja, die schon bei dreihundert Rubel fürs Café das Gesicht verzog, versuchte ruhig zu bleiben:
— Lescha… das ist die Hälfte unseres Einkommens.
— Hör auf mit der Dramatik! — sagte er und schenkte sich Tee ein.
Wie sie die Tasse nicht an die Wand schleuderte — ein Rätsel.
Vielleicht liebte sie ihn noch.
Oder war einfach zu gut erzogen.
Doch es ging weiter.
Als es um den Kredit ging, erklärte Alexej seelenruhig:
— Wir nehmen ihn auf deinen Namen. Deine Bonität ist sauber, mir geben sie nichts.
Und da spürte Nastja, sonst so beherrscht und höflich, zum ersten Mal seit langem aufrichtigen, stolzen Zorn.
Einen Zorn, der dich dazu bringt, einen Koffer zu kaufen, einen neuen Pass und ein Leben ganz von vorn zu beginnen — am besten hundert Kilometer entfernt von der Schwiegermutter.
— Nein, — sagte sie.
Kurz.
Fest.
Mit der Endgültigkeit eines eisigen Winters.
— Was heißt „nein“? — stutzte Alexej.
— Ich werde keinen Kredit für deine Mutter aufnehmen.
In diesem Moment entstand zwischen ihnen, einst „wir“, ein Riss.
Genauer gesagt — ein Abgrund.
Ohne Brücke.
Ohne Rückkehr.
Nastja begriff: er hatte sie nicht nur nicht gehört.
Er konnte nicht hören.
Denn er vernahm nur eine Stimme — die seiner Mutter.
Wie ein Sirenengesang.
Oder wie ein ewiger Trinkspruch auf sie.
— Kauf ihr die Wohnung selbst, — sagte sie und ging, um ihre Sachen zu packen.
In dieser Nacht schlief sie bei Ira.
Auf dem ausklappbaren Sofa.
Unter einer Decke mit Rentieren.
Und, man muss sagen, sie schlief wie erschlagen.
Ohne Träume, ohne Unruhe, ohne den Geruch von Mamas Frikadellen und ohne ihre Vorwürfe.
Und am Morgen reichte sie die Scheidung ein.
Als Nastja am Morgen mit dem Scheidungspapier aus dem Standesamt kam, fühlte sie nichts.
Keinen Schmerz, keine Erleichterung – nur eine klare, beängstigende Stille in ihrem Inneren.
Wie nach einem Brand: alles ist verbrannt, doch die Wände sind noch warm.
Es wäre schön gewesen zu weinen, die Mascara zu verschmieren und sich in eine Decke mit Keksen und Serien zu kuscheln, wie im Film.
Doch Nastja ging in die Apotheke.
Sie kaufte Vitamine, Pflaster, ein Mittel gegen Schlaflosigkeit – zur Sicherheit – und Pfefferminz-Kaugummi.
Denn wenn man geschieden ist, sollte der Atem frisch sein.
Ira, Freundin und erklärte Single-Frau, empfing Nastja mit einer Mischung aus Mitleid und Spott:
– Na, endlich wach, Aschenputtel? Der Prinz war wohl der Sohn einer Königin, oder? Einer, die nicht nur Äpfel verschlingt, sondern auch Bräute?
Nastja lächelte schief.
Dann weinte sie.
Dann lächelte sie wieder.
– Ich habe das Gefühl, ich war die Dritte in ihrer Ehe. Und überflüssig dazu.
– Du warst nicht verheiratet, – schnitt Ira ab. – Du stecktest in einem Dreieck mit zwei psychologisch abhängigen Personen. Wenn Nina Petrowna gekonnt hätte, hätte sie dich zu Material für Ohrringe eingeschmolzen. Oder dich wenigstens gegen eine Waschmaschine eingetauscht.
Nastja lachte und weinte abwechselnd wie ein Kind auf einer Schaukel.
Anfangs wohnte sie bei Ira.
Dann mietete sie eine Einzimmerwohnung: abgeblätterte Tapeten, knarrende Dielen, der Geruch der Vormieter – aber dafür rief niemand mehr morgens an, um zu fragen, welches Fensterbrett besser sei – gerade oder geschwungen.
Alexej rief an.
Anfangs oft.
Er schrieb Nachrichten wie: „Bist du verrückt?“, „Uns ging es doch gut!“, „Du kannst nicht einfach alles hinwerfen.“
Dann wurde er grob.
Dann begann er zu bitten.
Dann verstummte er.
Nastja wartete, wie in einem alten Kinderspiel, darauf, dass er schreibt: „Ich habe meiner Mutter eine Wohnung gekauft und begriffen, dass du recht hattest.“
Er schrieb es nicht.
Es stellte sich heraus, dass das Leben nach dem Mann nicht das Ende ist.
Es ist ein Anfang.
Ohne Mamas Sonntagsfrikadellen.
Ohne die ewigen spitzen Bemerkungen: „Du siehst müde aus, solche Ringe unter den Augen“, oder „Alexej, du isst schon wieder Nudeln? Nastja hat nicht gekocht?“
Es stellte sich heraus, man kann in einer Welt leben, in der die einzige Stimme im Kopf die eigene ist.
Zunächst lebte Nastja bescheiden.
Sehr bescheiden.
Das Gehalt einer Lehrerin erlaubt keine großen Sprünge.
Aber plötzlich reichte es.
Weil niemand mehr Ohrringe für hunderttausend kaufte.
Und keine Küchen „in Marmoroptik“ bestellte.
Und nicht mehr anrief, um eine Klinik in Sotschi bezahlt zu bekommen, weil „die Ärzte in der Bezirksklinik Henker im Kittel sind.“
Die ersten Monate fühlten sich an wie eine Anpassung nach langem Aufenthalt in einem fremden Körper.
Nastja lernte Dinge, die sie vorher nicht tat: sich schöne Sachen kaufen, Schokolade im Bett essen, aus dem Fenster schauen ohne Hast.
Niemandem erklären, wo sie ist.
Nicht sagen, mit wem sie Mittag gegessen hat.
Keine Worte abwägen, um die Schwiegermutter nicht zu verletzen, die selbst im Schweigen Ironie hörte.
Manchmal tauchte der Ex-Mann wieder in ihrem Blickfeld auf.
Wie ein Gespenst.
Er rief an.
Er schrieb.
Einmal trafen sie sich zufällig im Supermarkt.
Alexej stand an der Kühltheke beim Kefir und sah aus, als hätte er die Nacht auf dem Fensterbrett im Mantel verbracht.
Nastja – im grauen Mantel und mit einer Tüte Äpfel – ging an ihm vorbei wie an einem Nachbarn aus einem früheren Leben.
– Nastja! – rief er. – Wie geht es dir?
Sie blieb stehen.
Nickte.
Sie sah ihn an wie ein offenes Glas Marmelade: alles vertraut, aber klebrig süß.
– Mir geht es gut. Ich arbeite. Ich lebe. Und du?
– Meine Mutter ist krank, – gestand er wie immer. – Bluthochdruck. Alles liegt auf mir. Ich schaffe es nicht.
Nastja verstand plötzlich ganz klar: Das ist alles, was er kann.
Sohn sein.
Partner – hat nicht geklappt.
Ehemann – so lala.
Aber Sohn war er perfekt.
Treuer, hingebungsvoller, blinder.
Fast wie ein Hund.
Nur dass er sprach.
– Lescha, findest du nicht, dass du nicht klarkommst, nicht weil deine Mutter krank ist, sondern weil du immer noch nicht weißt, wo sie endet und du beginnst?
Er erstarrte.
Dann zuckte er mit den Schultern.
– Bei dir ist alles viel zu kompliziert.
– Und bei dir viel zu einfach. Dein ganzes Leben einem einzigen Menschen widmen. Selbst wenn es deine Mutter ist.
Sie trennten sich ohne Vorwürfe und Bitterkeit.
Wie zwei Mitbewohner in einem Studentenwohnheim.
Zwei zufällige Menschen, die für eine Weile durch Alltagsgewohnheiten und endlose Gespräche über die Bedürfnisse „dritter Personen“ verbunden waren.
Im Frühling beschloss Nastja, eine gründliche Reinigung zu machen – nicht nur in der Wohnung, sondern auch in ihrem Leben.
Sie kündigte.
Schrieb sich in Kurse ein.
Beherrschte Online-Unterricht.
Begann, Geschichte über Zoom an Kinder aus anderen Städten zu unterrichten.
Mit einer Teetasse in der Hand, in Socken.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit spürte sie, dass es einen Ort gibt, an dem niemand sie vorwurfsvoll daran erinnert, dass sie nicht „Alexejs Mutter“ ist.
Und auch nicht Nina Petrowna.
Und auch keine Heldin in irgendeinem fremden Melodram.
Ihr Ex-Mann, wie Ira später erzählte, kaufte schließlich doch diese Wohnung.
Auf Kredit.
Auf seinen Namen.
Danach fing er wieder an, sich mit einer Frau zu treffen – leise, freundlich, jemand, die „sich nicht in sein Verhältnis zur Mutter einmischt“.
Nastja zuckte nur die Schultern.
Davon gibt es viele.
Bis sie müde werden vom endlosen „Mama kann nicht warten“.
Sie selbst wartete nicht mehr.
Nicht auf Kompromisse.
Nicht auf Verständnis.
Nicht auf goldene Ohrringe.
Sie lebte einfach.
Fast anderthalb Jahre gingen vorbei.
Nastja schaffte es, ans Meer zu fahren.
Nicht in ein Sanatorium, sondern in einen echten Urlaub, wo niemand Bemerkungen über ihre Krampfadern, ihr Gewicht oder ihre Kleider machte.
Sie gewöhnte sich eine neue Sonntagsroutine an – bis mittags schlafen und unter der Decke lesen.
Das klingt vielleicht banal.
Doch wenn man eine Ehe mit einem Muttersöhnchen und seiner herrschsüchtigen Mutter hinter sich hat, dann ist selbst ein Glas Wasser in der Nacht ein Zeichen der eigenen Freiheit.
Sie war eine andere geworden.
Nicht unbedingt härter.
Aber ihr Gesicht hatte jetzt den Ausdruck einer Frau, die eine Besatzung überstanden hat.
Höflich, aber mit einem leichten spöttischen Lächeln in den Mundwinkeln.
Wie jemand, der weiß: wenn einer sagt „alles wird gut“, dann lügt er vermutlich.
Oder er will Geld leihen.
Mit Alexej hatte Nastja keinen Kontakt.
Er schrieb nicht, er rief nicht an.
Manchmal erwähnte jemand aus dem Bekanntenkreis: „Haben ihn gesehen. Abgemagert. Geht finster herum.“
Nastja nickte nur und aß in Ruhe ihren Salat weiter.
Sie hatte anderes im Kopf – ihre Kurse, ihre Schüler, und ihre Freundin Ira, die es schaffte, sich in den Nachbarn zu verlieben, sich von ihm scheiden zu lassen und gleich wieder zu entflammen – alles in einem Semester.
Und dann kam… sie.
Nina Petrowna.
Um halb sieben abends klopfte es.
Nastja öffnete, ohne durch den Spion zu schauen.
Wer sonst konnte so selbstsicher und geschäftsmäßig klopfen, als betrete er die eigene Praxis?
Auf der Schwelle stand genau sie.
Weniger Schminke, mehr Schal, ein wenig gebeugt – aber mit derselben Haltung.
Und demselben Gesichtsausdruck – „jetzt sage ich Ihnen etwas Wichtiges, halten Sie sich fest“.
— Anastasia, — begann Nina Petrowna mit gespielter Würde, — ich komme nur kurz.
Nastja trat schweigend zur Seite. Soll sie reinkommen.
Die Teppiche hatte sie längst entsorgt – nichts mehr, das man hätte schonen müssen.
— Ich muss reden, — fuhr die Schwiegermutter fort. Oder besser gesagt: die Ex-Schwiegermutter. Doch nach ihrem Tonfall klang es nicht so. — Von Frau zu Frau.
Nastja nickte. Sie wunderte sich nicht, dass jene wusste, wo sie wohnte.
Bestimmt hatte Alexej es ausgeplaudert.
Oder sie hatte es über Bekannte herausgefunden.
Oder über die Kameras am Eingang.
Diese Leute wissen, wie man diejenigen findet, die sie für „Schuldner“ halten.
— Ich komme gleich zur Sache, — sagte Nina Petrowna, setzte sich ungefragt. — Lescha leidet. Er gesteht es nicht ein, aber ich sehe es. Er hat abgenommen, er isst nicht, schweigt nur.
— Ich bin keine Ärztin, — antwortete Nastja gelassen. — Soll er sich bei einem Spezialisten melden. Psychologen sind jetzt sowieso in Mode.
— Könntest du nicht… — sie beugte sich leicht vor, als wolle sie ihr ein Bonbon anbieten. — Mit ihm reden. Ihn stützen. Er ist ganz schwach geworden. Ich schaffe es allein nicht.
Nastja erstarrte.
Nicht wegen der Worte, sondern wegen des Tons.
Genau dieser alten, befehlshaften, halblauten Stimme mit dem Vorwurf darin: „Du musst. Weil du Frau bist. Weil du seine Frau warst. Weil ich ihn geboren habe – also bist du verpflichtet.“
— Nina Petrowna, — sagte sie leise, — haben Sie sich nie gefragt, warum er so schwach ist?
Die Schwiegermutter lehnte sich zurück. Verzog die Lippen.
— Willst du andeuten, dass ich schuld bin?
— Nein, — Nastja stand auf. — Ich will sagen, dass es nicht mehr meine Aufgabe ist.
— Aber du hast ihn doch geliebt!
— Geliebt. Bis ich verstand, dass zwischen ihm und mir immer Sie standen.
Schweigen legte sich in die Luft wie der Geruch von gekochtem Kohl.
— Glaubst du wirklich, dass es dir besser geht allein? — fragte Nina Petrowna scharf. — Als alternde Frau, ohne Mann, ohne Kinder?
— Ja. Denn jetzt weiß ich wenigstens, wer ich bin.
Die Besucherin erhob sich. Ihr Mantel saß schlecht, der Schal störte sie.
Plötzlich erschien sie Nastja klein.
Erschöpft.
Vielleicht sogar einsam.
Doch Nastja wusste: Mitleid ist eine gefährliche Falle.
Es kommt zuerst. Danach folgt Schuld. Und am Ende wieder ein Kredit für jemandes Wohnung.
— Nun gut… — sagte Nina Petrowna, ihre Stimme bebte leicht. — Ich habe es versucht.
— Und ich. Nur anderthalb Jahre früher.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, spürte Nastja eine Freiheit in der Brust.
Als hätte sich der Raum vergrößert.
Oder sie selbst sei gewachsen.
Später, bei einer Tasse Tee, hörte Ira die Geschichte und grinste:
— Ist sie angekrochen gekommen? Heißt das, der Muttersöhnchen-Junge fängt an einzugehen?
— Keine Ahnung, — sagte Nastja. — Vielleicht hat sie nur gesehen, dass ich besser lebe, als sie dachte. Ohne sie.
— Du Biest, Nastja. Ich hätte sie gar nicht reingelassen.
— Ich ließ sie rein. Damit ich die Tür nicht nur physisch hinter ihr schließen konnte.
Einige Monate später nahm Nastja selbst einen Kredit auf.
Auf ihren Namen.
Eine kleine Wohnung. Ohne Parkett, ohne Goldkanten, aber mit einem Balkon, auf den morgens ein Sonnenstrahl fiel.
Dort stellte sie einen Stuhl hin und las.
Manchmal lachte sie sogar.
Im Sommer traf sie einen Mann.
Keinen Prinzen, keinen Retter.
Einfach jemanden, der guten Kaffee kochte und nie fragte: „Und was sagt deine Mutter dazu?“
An ihrem Geburtstag schrieb Alexej.
Drei Worte: „Ich vermisse dich. Vergib mir. Erinnerst du dich?“
Sie antwortete nicht.
Weil sie ihn nicht vermisste.
Weil Vergebung nicht immer Rückkehr bedeutet.
Und weil Erinnerung tückisch ist.
Sie bewahrt alles, sogar das, wovon man sich längst verabschieden sollte.
Nastja schaute aus dem Fenster.
Unten ging eine Frau vorbei. Sehr ähnlich wie Nina Petrowna.
Nur ein Schatten.
Und Nastja hatte keine Angst mehr. Weder vor ihr, noch vor ihrer Rückkehr.
Denn jetzt kannte sie den Preis ihrer Freiheit.
Und der war zu hoch, um ihn wieder gegen einen Balkon oder ein Paar Ohrringe einzutauschen.