Liliya saß in ihrem Büro, in Gedanken versunken. Auf ihrem Schreibtisch lagen wichtige Immobilienunterlagen.
Sie hatte von ihren Eltern ein beträchtliches Vermögen geerbt: drei Wohnungen in einer prestigeträchtigen Gegend der Stadt und ein kleines Einkaufszentrum am Stadtrand.
Ihre Finger fuhren automatisch die Zeilen des Mietvertrags entlang, wo der Name der Mieterin deutlich hervorstach: Alla Sergejewna Voronowa.
Die Mutter ihres Mannes hatte niemals geahnt, dass die Miete, die sie jeden Monat zahlte, direkt an ihre eigene Schwiegertochter floss.
Liliya hatte alles über eine Immobilienagentur abgewickelt, um das Geheimnis zu wahren.
Vor drei Jahren, als ihre Beziehung mit Igor gerade erst begonnen hatte, hatte sie beschlossen, ihm ihre finanzielle Situation nicht zu offenbaren.
— Mein Schatz, hatte sie damals zu Igor gesagt und ihn zärtlich angesehen, es ist mir egal, wie viel du verdienst. Das Einzige, was für mich zählt, ist, wie du mich behandelst.
Igor war rot geworden und fühlte sich etwas unwohl. Er war Ingenieur in einem Bauunternehmen, und sein Gehalt reichte gerade so für seinen Lebensunterhalt.
— Aber wie ist das möglich? Du bist schön, intelligent… Wird dir ein einfaches Leben wirklich genügen?
Liliya lachte und umarmte ihn.
— Ich liebe dich, mein Liebling. Der Rest ist nicht wichtig.
So entschied sie, ihr Vermögen geheim zu halten. Sie erzählte allen, sie arbeite als Managerin in einem Einkaufszentrum, verschwieg jedoch, dass sie dessen Eigentümerin war. Die Wohnung, in der sie lebten, stellte sie als Erbschaft dar.
Nach zwei Jahren Ehe begann Liliya manchmal, diese Entscheidung zu bereuen, besonders wegen der ständigen Angriffe ihrer Schwiegermutter. Von Anfang an hatte Alla Sergejewna ihr ihre Verachtung gezeigt.
— Wie konntest du so eine Frau wählen? — wiederholte sie oft vor ihrem Sohn. — Sie kann nicht kochen, sie kann keinen Haushalt führen. Den ganzen Tag macht sie nichts anderes, als zur Arbeit zu gehen!
Liliya ertrug es schweigend, obwohl jedes Wort sie tief verletzte. Aus Liebe zu ihrem Mann war sie bereit, jede Kritik ihrer Schwiegermutter zu erdulden, selbst wenn diese immer grausamer wurde.
Eines Tages, während sie das Abendessen zubereitete, hörte sie ihre Schwiegermutter am Telefon sprechen.
— Stell dir vor, Galina, diese Frau hat sich schon wieder ein neues Kleid gekauft! — beklagte sich Alla Sergejewna lautstark. — Ich verstehe nicht, woher sie das Geld hat. Sicher gibt Igor all seine Ersparnisse für sie aus!
Liliya hätte die Pfanne fast fallen lassen. Ja, das Kleid war teuer gewesen, aber sie hatte es von den Mieteinnahmen ihres Einkaufszentrums bezahlt.
— Mein Sohn hat den Verstand verloren! — fuhr Igors Mutter fort. — Ohne ihn würde diese Frau wahrscheinlich auf der Straße leben. Sie hat keine Ausbildung, keinen anständigen Job…
Liliyas Hände zitterten vor Wut. Sie hatte zwei Abschlüsse und beide mit Auszeichnung bestanden, aber Igor hatte sie gebeten, es seiner Mutter nicht zu erzählen, da diese Frauen mit zu viel Bildung verachtete.
Die Angriffe von Alla Sergejewna wurden immer aggressiver. Jeder ihrer Besuche wurde für Liliya zu einer echten Belastungsprobe.
— Diese Suppe ist ungenießbar! — rümpfte die Schwiegermutter nach dem ersten Löffel die Nase. — Zu meiner Zeit lernten Mädchen das Kochen, bevor sie heirateten.
Liliya ballte unter dem Tisch die Fäuste. Sie konnte hervorragend kochen; vor der Hochzeit hatte sie sogar Kochkurse besucht, um ihren Mann zu verwöhnen. Doch für ihre Schwiegermutter war nichts, was sie tat, jemals gut genug.
Als ihr Hochzeitstag näher rückte, beschloss Liliya, Igor zu überraschen. Heimlich buchte sie einen zweiwöchigen Aufenthalt in einem Luxushotel in der Türkei – ihren ersten gemeinsamen Urlaub im Ausland.
Sie legte die Tickets in ihr Büro und lächelte. Vielleicht würde ihre Schwiegermutter nach dieser Reise ihre Meinung über sie ändern. Oder vielleicht würde die Situation noch schlimmer werden.
An diesem Abend, als Igor nach Hause kam, bemerkte Liliya seinen angespannten Gesichtsausdruck. Sie aßen schweigend, bis er schließlich sprach.
— Weißt du, meine Mutter hat mich heute angerufen… — sagte er vorsichtig.
Liliya erstarrte. Jedes Mal, wenn Igor mit seiner Mutter sprach, wurde er ihr gegenüber distanzierter.
— Sie hat mir gesagt, dass ihre Miete erhöht wurde… Jetzt wird es für sie schwierig sein, ihre Ausgaben zu decken.
— Und was schlägt sie vor? — fragte Liliya und hatte das Gefühl, die Antwort bereits zu kennen.
— Vielleicht sollten wir ihr helfen… Ich weiß, dass wir selbst nicht in der besten finanziellen Lage sind, aber trotzdem… es ist meine Mutter…
Liliya sah ihn fassungslos an. Ihre Schwiegermutter log, um ihren Sohn zu manipulieren.
— Igor, ich… — begann sie, doch ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach sie.
Alla Sergejewna erschien im Türrahmen, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Schuhe auszuziehen.
— Ah, hier seid ihr! — rief sie aus und ging direkt in die Küche. — Ich wusste, dass ich euch beim Abendessen antreffe.
— Mama, was ist passiert? — fragte Igor.
— Das Wasser in meinem Wohnblock wurde wegen Reparaturen abgestellt. Ich muss ein paar Tage bei euch bleiben! — kündigte sie an und stellte ihre Tasche auf den Tisch.
Liliya hatte das Gefühl, dass alles zusammenbrach. Morgen war ihr Hochzeitstag, und am nächsten Tag sollten sie in die Türkei fliegen.
— Alla Sergejewna, vielleicht könnten Sie… — begann Liliya vorsichtig.
— Vielleicht was? — unterbrach sie die Frau mit Verachtung. — Willst du mir etwa sagen, dass ich kein Recht habe, im Haus meines Sohnes zu wohnen?
— Mama, bitte, beruhige dich… — versuchte Igor zu beschwichtigen.
— Ich soll mich beruhigen? — schrie sie. — Ich wusste, dass sie mich loswerden will! Siehst du, wen du geheiratet hast?
— Es reicht, Mama… — seufzte Igor.
— Nein, es reicht nicht! Ich bleibe hier und werde dir zeigen, wie eine richtige Ehefrau sein sollte!
Verzweifelt zog Liliya Igor zur Seite.
— Morgen ist unser Hochzeitstag, flüsterte sie mit leiser Stimme. Ich habe eine Überraschung für dich vorbereitet…
— Was könnte wichtiger sein als meine Mutter? — unterbrach er sie.
Liliya schwieg und erkannte, dass alles, was sie ertragen hatte, umsonst gewesen war.
— Weißt du was? — sagte sie kühl. — Wenn du glaubst, dass sie mehr Recht auf dieses Haus hat als ich, dann geh mit ihr.
— Was?! — Igor sah sie fassungslos an.
— Du hast mich schon verstanden. Nimm deine Mutter und verlasst meine Wohnung.
— Du kannst uns nicht einfach rausschmeißen!
Liliya ging ins Büro, holte die Dokumente heraus und reichte sie ihm.
— Lies sie genau. Diese Wohnung gehört mir. Du hast kein Recht, hier zu bleiben, ohne meine Erlaubnis.
Igor blätterte blass durch die Seiten.
— Aber…
— Genug.
Am nächsten Tag schickte Liliya ihrer Schwiegermutter eine Räumungsaufforderung. Eine Stunde später erschien die Frau wütend vor der Tür.
— Wie kannst du es wagen?!
— Ganz einfach, Alla Sergejewna. Ich bin deine Vermieterin.
Einen Monat später fühlte sich Liliya freier als je zuvor. Sie hatte einen Ehemann verloren, aber ihre Würde zurückgewonnen. Und das war weitaus mehr wert.