Lass mich in Ruhe und wage es nicht einmal, mich zu berühren! Du hast jemanden, den du anfassen kannst, also geh dorthin!

„Lena, ich bin weg, werde spät zurück sein! Falls du schlafen gehst, warte nicht auf mich!“ rief Wanja aus dem Flur seiner Frau zu.

„Stehen bleiben!“ schrie Lena zurück.

Sie kam aus dem Badezimmer, ein Handtuch um den Kopf gewickelt.

„Warum wirst du heute spät? Hat sich euer Arbeitsplan im Büro geändert? Oder hast du bei euch in der Firma einen Nebenjob als Heizer angenommen?

Was ist da los?“ fragte sie misstrauisch. „Letzte Woche bist du viermal erst nach Mitternacht nach Hause gekommen!

Und davor war es auch schon mehrmals dasselbe… Hast du dir etwa jemanden angelacht, Wanja?“

„Was redest du denn da?!“ Wanja wurde blass, und seine Augen fingen an, unruhig umherzuwandern.

Er schaute überall hin, nur nicht zu seiner Frau.

„Was habe ich denn so Besonderes gesagt? Früher bist du immer um sieben von der Arbeit nach Hause gekommen! Und jetzt plötzlich bleibst du bis spät in die Nacht weg! Was soll das?“

„Lena, red doch leiser! Warum fängst du gleich an, so laut zu werden? Die Kinder hören uns doch!“

„Was erzählst du denn da?“ wunderte sich Lena. „Welche Kinder? Die sind schon vor einer Stunde in die Schule gegangen!

Super Vater bist du! Weißt nicht mal, ob deine Kinder zu Hause sind oder nicht!“

„Ah,“ murmelte Wanja. „Das war wohl, als ich unter der Dusche war?! Habe ich gar nicht mitbekommen!“ Er grinste unsicher.

„Ja, ich sehe, du bekommst mittlerweile vieles nicht mehr mit, Wanja! Also, was geht bei euch in der Arbeit vor, dass du dich heute wieder so lange dort aufhältst? Erklär es mir bitte!“

„Da ist nichts Besonderes! Einfach nur viel Arbeit!“ antwortete Wanja.

„Na klar, du hast dir nicht mal die Mühe gemacht, dir eine vernünftige Ausrede auszudenken! Dachtst wohl, ich laufe weiterhin mit deiner Lügen-Geschichte rum, was?“

„Was für Ausreden? Lena, jetzt übertreibst du aber! Glaubst du mir nicht, dann ruf doch Igor an, er wird dir bestätigen, dass wir wirklich lange im Büro bleiben!“

„Oder vielleicht sollte ich lieber deinen Chef anrufen? Ich habe seine Nummer irgendwo notiert… Mal sehen, ob er deine Worte bestätigt! Und mir erklärt, was man bis Mitternacht am Computer im Büro macht!“

„Lena, du redest dir wieder was ein! Du füllst deinen Kopf mit Unsinn und bist dann nur noch am Nerven! Und dann lässt du es an mir aus!“

„Ich würde mir nichts einreden, wenn du dich nicht so komisch verhalten würdest! Ich hätte kein Wort gesagt, wenn du mich nicht so dreist anlügen und für dumm verkaufen würdest! Ich fühle einfach, dass du lügst!“

„Wie kommst du darauf, dass ich lüge?“ fragte Wanja und wich erneut ihrem Blick aus.

„Weil du mir nicht mal in die Augen schauen kannst! Du siehst überall hin, nur nicht zu mir! Und das ist das erste Zeichen dafür, dass du lügst! Und jetzt fängst du auch noch an zu schwitzen!“ Lena deutete auf seine Stirn.

„Ach komm schon, Lena! Hör auf, dir irgendwas zusammenzuspinnen! Soll ich etwa kündigen und zu Hause bleiben?

Damit ich immer nur in deiner Nähe bin? Ich kann das tun, kein Problem! Dann kannst du uns alle alleine durchfüttern!“

„Warum übertreibst du gleich so? Wer hat was von Kündigen gesagt? Es geht doch einfach nur darum, dass du mich anlügst!

Und dann fängst du selbst an, irgendwelchen Unsinn zu reden! Genau das passiert immer, wenn jemand nichts mehr zu sagen hat!“

„Lena, ich gehe jetzt zur Arbeit! Und ich werde mit dir nicht mehr über dieses Thema reden! Und mich vor dir erst recht nicht rechtfertigen! Ruf doch an, wen du willst!

Aber eines sag ich dir: Falls du mich vor meinem Chef blamierst, dann kündige ich wirklich und sitze dir zu Hause auf der Tasche! Klar?“

„Moment mal, wie genau soll ich dich vor deinem Chef blamieren? Ich verstehe das nicht… Du hast dich ja schon so sehr in deine Lügen verstrickt… Aber weißt du was?

Ich werde niemanden anrufen! Ich komme heute einfach selbst in euer Büro. Dann kann euer Chef mir persönlich bestätigen, was du mir hier erzählst!“

„Wag es bloß nicht!“ fuhr Wanja sie plötzlich an.

Genau auf diese Reaktion hatte Lena gewartet, als sie sagte, dass sie vorbeikommen würde.

„Also, mein Lieber!“ begann sie streng. „Entweder du sagst mir jetzt, wer sie ist, packst deine Sachen und gehst wie ein Mann – ohne großes Drama!

Oder ich sorge dafür, dass du auf der Arbeit und in unserem Bekanntenkreis so berühmt wirst, dass du es bereuen wirst! Und dein Vater… na ja, er wird dich sowieso in Stücke reißen!“

„Was hat mein Vater damit zu tun?“ Wanja war verwirrt.

„Denk gut nach! Oder soll ich dir auf die Sprünge helfen? Er hat doch bei dir mal gesagt, dass er dir die Arme und Beine ausreißt, wenn du mich jemals betrügen solltest! Und dass er dich aus der Wohnung schmeißt! Erinnerst du dich?“

Wanja bekam zittrige Hände.

„Oh, jetzt wirst du aber richtig nervös! Wer ist sie? Jemand aus deiner Arbeit? Kenn ich sie?“

„Ich habe niemanden außer dir!“ Wanja begann laut zu werden. „Hör auf, mich ständig für alles Mögliche zu verdächtigen!“

„Warum schreist du? Werde nicht laut, hysterische Diva!“ entgegnete Lena ruhig. „Warum bist du so nervös? Heißt wohl, dass du etwas zu verbergen hast!“

„Ich will nicht mehr über dieses Thema reden! Wenn du mir nicht glaubst, dann ist das dein Problem! Und jetzt –“ Wanja warf einen Blick auf die Uhr. „– komme ich deinetwegen noch zu spät zur Arbeit! Ich gehe!“

„Kein Problem, dann arbeitest du es heute Nacht nach!“

Wanja warf ihr einen wütenden Blick zu, öffnete die Tür und verließ die Wohnung.

Lena nahm das Handtuch von ihrem Kopf, trocknete ihre Haare ein wenig und ging ins Schlafzimmer, um ihr Telefon zu holen.

Sie hatte absolut keine Lust, zu ihrem Mann zur Arbeit zu fahren. Deshalb suchte sie schnell die Nummer seines Chefs in ihrem Telefonbuch und rief ihn direkt an.

Das Gespräch wurde fast sofort angenommen.

— Ich höre! – meldete sich eine raue Männerstimme. – Wer ist da?

— Guten Tag, Wjatscheslaw Konstantinowitsch! Mein Name ist Elena, ich bin die Ehefrau eines Ihrer Mitarbeiter, Iwan…

— Ah, ja, ja, ja! Verstanden, guten Tag, Elena! – Sein Ton wurde etwas freundlicher. – Wie kann ich helfen?

— Vielleicht ist meine Frage etwas seltsam… Aber… Ich wollte wissen, gibt es bei Ihnen auf der Arbeit etwa einen Haufen unerledigter Aufgaben?

Ihre Angestellten, ich meine die Büroangestellten, insbesondere meinen Mann, arbeiten bis spät in die Nacht – ist das wirklich so?

— Wie kommen Sie darauf? – fragte der Mann mit fragendem Ton. – Nein! Sie arbeiten nach wie vor bis sechs Uhr!

Und Iwan, na ja, in letzter Zeit bittet er sogar manchmal darum, früher gehen zu dürfen! Worum geht es?

Lena schwieg für einige Sekunden. Dann fasste sie sich und antwortete dem Chef ihres Mannes.

— Ach, nichts weiter! Vielen Dank, Wjatscheslaw Konstantinowitsch! Ich habe alles erfahren, was ich wissen wollte! Auf Wiedersehen! – sagte Lena und legte auf.

Ihre Stimmung war ohnehin schon schlecht, aber nach den Worten des Chefs ihres Mannes war sie endgültig im Keller.

Eigentlich musste sie sich jetzt für die Arbeit fertigmachen, aber ihre Gedanken waren ganz woanders. An Arbeit konnte sie überhaupt nicht denken.

Sie trocknete ihre Haare, machte sich fertig und fuhr schließlich doch zur Arbeit. Doch dort konnte Elena sich einfach nicht konzentrieren.

Ständig schossen ihr seltsame Gedanken durch den Kopf, die sie nicht einfach verdrängen konnte.

Sie verstand, dass ihr Mann, mit dem sie fast fünfzehn Jahre verheiratet war, sie schlicht und einfach betrog. Und nun blieb ihr nur noch, ihn auf frischer Tat zu ertappen. Um endgültige Gewissheit zu haben.

Ihr Arbeitstag endete genau um fünf Uhr – eine Stunde früher als der ihres Mannes. Die Kinder hatten ihr bereits geschrieben, dass sie zu Hause waren.

Also machte sie sich auf den Weg mit ihrem Auto zu dem Büro, in dem Iwan arbeitete.

Als sie ankam und auf dem Parkplatz neben dem Bürogebäude hielt, stand das Auto ihres Mannes noch dort. Doch keine fünf Minuten später kam Iwan plötzlich aus dem Gebäude. Er war gerade mit jemandem am Telefon.

Er bemerkte das Auto seiner Frau nicht einmal – so vertieft war er in das Gespräch. Und das, obwohl ihr Wagen nur vier Autos von seinem entfernt stand.

Er setzte sich ans Steuer und fuhr los. Ohne lange zu überlegen, folgte Lena ihm.

Sie wollte ihn zunächst anrufen, unter dem Vorwand, dass sie gerade nach Hause fahre, um herauszufinden, wo er sei. Doch sie ließ es bleiben. Sie entschied sich, ihm bis zum Ende zu folgen.

Die Fahrt dauerte etwa vierzig Minuten. Sie hielt genug Abstand, um nicht aufzufallen, verlor ihn aber auch nicht aus den Augen.

Letztendlich führte dieses kleine Detektivspiel Lena in ein ihr sehr bekanntes Viertel. Dort wohnte nämlich eine ihrer Freundinnen. Und dieser Gedanke ließ sie nicht los.

— Nein, das kann nicht sein! – versuchte Lena sich selbst zu beruhigen. – Vika ist doch nicht die Einzige, die hier wohnt!

Doch wenig später bog Iwan in einen Hof ein – genau in den, in dem eben jene Wika wohnte – und parkte sein Auto direkt vor ihrem Hauseingang. In diesem Moment verschwanden alle Zweifel.

Iwan stieg aus und ging in das Gebäude. Lena wartete etwa zehn Minuten und nahm dann ihr Handy, um ihre Freundin anzurufen.

Doch plötzlich entschied sie sich um und stieg stattdessen aus ihrem Auto, um direkt zum Hauseingang zu gehen.

Wiktoria war eine ihrer besten Freundinnen. Mit ihr hatte sie fast alles geteilt, was in ihrem Leben geschah.

Und erst vor anderthalb Monaten hatte Wikas Mann sie verlassen. Wika hatte Lena erzählt, dass sie ihn mit einer Geliebten erwischt hatte.

Als sie sich dem Eingang näherte, überlegte Lena, wie sie ihren Besuch bei Wika begründen könnte, damit diese ihr ohne Nachfragen die Tür öffnete.

Doch das war gar nicht nötig, denn genau in diesem Moment liefen ein paar Kinder aus dem Gebäude, und Lena huschte schnell durch die geöffnete Tür.

Mit dem Aufzug fuhr sie in den sechsten Stock. Sie war fest entschlossen. Vor der Tür ihrer Freundin klingelte sie. Lena wusste, dass Wika zu Hause sein musste – schließlich arbeitete sie momentan nicht und war auf Jobsuche.

Doch die Tür wurde nicht sofort geöffnet. Also drückte sie erneut auf die Klingel und hielt die Taste so lange gedrückt, bis die Tür sich schließlich doch öffnete.

Vor Lena stand die völlig verdatterte Wika, nur in einem Morgenmantel und mit zerzausten Haaren.

„Wo ist er?“ – fragte Lena ihre Freundin streng.

„Wer?“ – versuchte Wika sich ahnungslos zu stellen.

„Du weißt genau, von wem ich rede! Geh sofort aus dem Weg!“ – sagte Elena und schob die Hausherrin einfach beiseite.

„Bist du völlig übergeschnappt, oder was?“ – empörte sich die Freundin. „Lena, wohin gehst du denn mit Schuhen?“ – rief Wika ihr hinterher.

Aber Lena hörte sie schon nicht mehr. Sie stürmte vorwärts wie ein Panzer. Als sie die Tür zu Wikas Schlafzimmer aufriss, fand sie dort genau denjenigen, weswegen sie eigentlich gekommen war.

In diesem Moment versuchte Wanja hektisch, seine Hose hochzuziehen.

„Lena, bitte, reg dich nicht auf! Ich kann alles erklären!“ – flehte Iwan seine Frau an.

„Ich brauche keine Erklärungen, ich bin nicht blind!“ – antwortete die Ehefrau ruhig.

Sie trat ins Schlafzimmer, kam näher – fast schon direkt auf Tuchfühlung mit ihrem Mann – und rammte ihm mit voller Wucht ihr Knie zwischen die Beine. So stark, dass Wanja wie ein Ferkel aufquiekte.

Vor Schmerz und Schock sackte er vor seiner Frau auf die Knie und hielt sich die Leistengegend. Doch Lena machte keine Anstalten zu gehen – stattdessen trat sie ihn noch mehrere Male dorthin, wo sie ihn zuvor mit dem Knie getroffen hatte.

Wanja lief blau und rot gleichzeitig an. Seine Augen – so schien es Lena – würden ihm gleich aus den Höhlen springen.

Wika stand stumm dahinter und wagte kaum zu atmen. Lena drehte sich ruhig um, sah ihre Freundin an und ging auf sie zu.

„Lena, beruhige dich, ich kann dir alles erklären!“ – begann Wika panisch.

„Noch eine!“ – spottete Lena.

Sie packte Wika abrupt an den Haaren und riss sie mit voller Kraft zu sich. Wika verlor das Gleichgewicht und fiel aus reiner Trägheit auf Lena zu – doch diese trat einfach zur Seite.

Treten wollte Lena ihre Freundin nicht, auch wenn sie es sich sehr wünschte.

Dann verließ sie die Wohnung ihrer Freundin, lief die Treppe hinunter, setzte sich ins Auto und dachte, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde.

Doch nein, in ihren Augen war keine einzige Träne. Nur Schmerz und Enttäuschung. Sie startete den Motor und fuhr nach Hause, wo ihre Tochter und ihr Sohn auf sie warteten.

Etwa zwanzig Minuten, nachdem sie angekommen war, trat Wanja in die Wohnung.

„Und was willst du hier? Du kannst gleich wieder umdrehen und dahin verschwinden, wo du angeblich bis spät arbeitest!“

„Lena, lass uns reden!“ – sagte er und trat ein paar Schritte vor, um nach ihrer Hand zu greifen.

„Fass mich nicht an mit deinen widerlichen Pfoten! Du hast doch jemanden, den du anfassen kannst – also geh zu ihr und fass sie an, bis du genug hast!

Hier bist du nicht mehr willkommen! Ich habe die Scheidung schon eingereicht!“ – sagte seine Frau und schwenkte demonstrativ ihr Handy.

„Lena, wir sollten keine überstürzten Entscheidungen treffen! Warum alles gleich kaputtmachen – wegen so einer Kleinigkeit?

Ich habe Wika weggeschickt, ich gehe nie wieder zu ihr! Ich will euch nicht verlieren! Bitte verzeih mir!“

„Das interessiert mich im Moment herzlich wenig! Geh ruhig zurück zu ihr! Ach übrigens, ich habe auf dem Weg nach Hause deinen Vater angerufen und ihm alles über deine Eskapaden erzählt! Er meinte, er kommt bald vorbei!“

Wanja erbleichte, als er von seinem Vater hörte. Obwohl er bereits fast sechsunddreißig war, hatte er immer noch panische Angst vor ihm.

Denn sein Vater hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, ihm – wenn ihm die Worte seines Sohnes nicht gefielen, besonders wenn dieser sich in seiner Gegenwart über Frau und Kinder beschwerte – direkt eine zu verpassen.

Und es war ihm völlig egal, ob das Wanja wehtat oder ob er danach mit einem blauen Fleck herumlaufen musste. Sein Vater konnte einfach keine Jammerlappen und Verräter in der Familie ausstehen.

Das Interessanteste war jedoch, dass Lena, Wanja und ihre Kinder all die Jahre in der Wohnung von Wanjas Großvater gelebt hatten – eine Wohnung, die er nie auf seinen Sohn umgeschrieben hatte.

Als sein Vater schließlich eintraf, kassierte Wanja noch eine Abreibung – wenn auch nicht so, wie seine Frau es getan hatte.

Sein Vater erklärte ihm unmissverständlich, dass er sich nicht mehr in dieser Wohnung blicken lassen solle.

Und sobald die Scheidung mit Lena durch sei, würde er die Wohnung offiziell seiner Schwiegertochter und seinen Enkeln überschreiben. Einen Verräter wie Wanja wollte er nicht länger als seinen Sohn betrachten.