Sie wohnten sich gegenüber im ruhigen Oakwood Apartments.
Walter, 73, lebte allein, seit seine Frau verstorben war.

Mrs. Grace, vielleicht 80, war immer ordentlich, immer höflich im Flur, aber in letzter Zeit… still.
Zu still.
Walter bemerkte es.
Er bemerkte die ungelesene Post, die sich stapelte, die Art, wie sie sich langsamer bewegte, als wären ihre Knochen schwer.
Er sah die unberührten Fertiggerichte in ihrer Einkaufstasche an einem Dienstag.
Zwei zum Preis von einem, stand auf dem Schild. Sie nahm nur eines.
Eines Abends, als er sein übliches Ein-Ei-Abendessen kochte, kam Walter eine Idee.
Einfach. Vielleicht dumm.
Er schlug das Ei in eine kleine Schale, streute eine Prise Salz darüber und wickelte es vorsichtig in eine saubere Serviette.
Er ging die drei Schritte zu ihrer Tür, das Herz klopfte wie bei einem Kind.
Er schob das warme Päckchen schnell unter ihre Tür, bevor er seine Meinung ändern konnte.
Keine Notiz. Nur ein Ei.
Er erwartete nichts.
Er ging zurück zu seinem Stuhl, die Stille drückte auf ihn.
Am nächsten Morgen war die Schale wieder unter seiner Tür.
Leer. Sauber. Nur die Schale.
Walter fühlte sich ein wenig albern.
Aber in dieser Nacht kochte er ein weiteres Ei.
Gleiche Routine. Unter die Tür schieben. Wie zuvor.
Diesmal war am nächsten Morgen die Schale zurück mit einer einzigen, perfekten Gänseblümchen-Zeichnung auf der Serviette in zitterndem blauen Stift.
Es wurde zu Walters stillem Ritual.
Ein Ei, jede Nacht.
Manchmal kam nur die Schale zurück.
Manchmal eine kleine Zeichnung, eine Sonne, ein Vogel, eine Teetasse.
Nie Worte.
Nur… Präsenz.
Walter begann, kleine Dinge zu bemerken.
Ihre Tür blieb manchmal einen Spalt offen.
Er hörte leise Musik.
Einmal sah er sie direkt drinnen sitzen, nach draußen blickend, nicht traurig, nur… wartend.
Dann, an einem regnerischen Donnerstag, war Walter langsam beim Zubereiten seines Eies.
Er hörte Mrs. Graces Tür quietschen.
Er spähte hinaus.
Sie schaute nicht auf seine Tür.
Sie stellte einen kleinen Suppenbehälter unter die Tür des jungen Paares am Ende des Flurs, die manchmal laut über Geld stritten.
Sie klopfte leise, dann huschte sie zurück hinein.
Walters Kehle zog sich zusammen.
Er kochte sein Ei, fügte aber einen Löffel der guten Butter hinzu, die Frau Grace ihm einst „für den Toast“ gegeben hatte. Untergeschoben.
Am nächsten Morgen war die Schale zurück. Daneben lag ein winziger, leicht schiefer Keks auf einer Spitze.
Es verbreitete sich, langsam und leise, wie aufsteigender Dampf.
Maria aus der 3B, die Büros reinigte, begann jeden Freitag ein einzelnes warmes Brötchen zu hinterlassen, das sie von ihrem Mittagessen aufgespart hatte.
Der alte Herr Henry, der kaum mit jemandem sprach, stellte jeden Montag einen kleinen, sauberen Apfel hin.
Das junge Paar ließ einen Thermosbecher starken Kaffees zurück: „Für deinen Morgen, Walter.“
Jemand stellte ein abgenutztes Kreuzworträtselbuch vor Frau Graces Tür. Sie brachte es am nächsten Tag zurück, halb ausgefüllt.
Nur… Eier, Brötchen, Äpfel, Kekse, Kaffee. Unter Türen durchgereicht. Eine stille Sprache: „Ich sehe dich. Du bist nicht allein.“
Walter erfuhr, dass Frau Graces Sohn im letzten Jahr gestorben war.
Die „zwei zum Preis von einem“-Abende? Sie hatten sie immer geteilt. Alleine essen fühlte sich an wie Schreien in einen leeren Raum.
Das Ei war keine Nahrung. Es war der Beweis, dass jemand anderes im Raum war.
An einem klaren Morgen fand Walter seine Schale zurück.
Aber dieses Mal stand Frau Grace in ihrer Tür und hielt zwei Tassen.
Ihre Hände zitterten, aber ihre Augen waren klar.
„Genug gekocht für zwei heute, Walter?“ fragte sie mit dünner, aber fester Stimme. „Dieses Schweigen… es wird dort drinnen zu laut.“
Er hatte nicht vorgehabt, mit ihr zu essen.
Aber er nickte, das Herz voll.
Sie setzten sich an ihren kleinen Tisch, Dampf stieg aus den Tassen, die leere Eierschale zwischen ihnen wie ein gemeinsames Geheimnis.
Keine großen Reden. Nur das leise Summen des Kühlschranks, das Geräusch von zwei Menschen, die im selben Raum atmen.
Am Ende des Flurs ließ Maria ihr Brötchen. Herr Henry stellte seinen Apfel hin. Die Tür des jungen Paares stand offen, leises Lachen drang heraus.
Es war kein Kühlschrank, der Hunderte ernährte. Es war kein Rathaus, das von Reparaturen summte.
Es war nur ein Ei. Unter einer Tür durchgereicht. Dann noch eines. Dann noch eines.
Eine winzige Kette von Wärme in einem Flur, den niemand zuvor bemerkt hatte.
Der Beweis, dass Freundlichkeit nicht immer laut oder groß sein muss.
Manchmal ist sie das leiseste Ding der Welt, das einfach auftaucht, eine einfache Geste nach der anderen, für die Person direkt gegenüber im Flur.
Denn manchmal ist das Zerbrochenste nicht ein Toaster oder ein Mantel.
Es ist das Schweigen zwischen zwei Türen.
Und das Mutigste, was man tun kann, ist, es mit einem Ei zu durchbrechen.
Nur ein Ei. Und eine saubere Schale, bereit, zurückgegeben zu werden.
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